Entfaltung

Grundbausteine einer freien Gesellschaft – Mut

Heute feiere ich im stillen Kämmerlein das zweijährige Jubiläum von Lufrai. Es ist für mich einer von mehreren Jahrestagen des Mutes. In den letzten zwei Jahren erreichte ich viele meiner Lebensziele: Arbeite mit mehr als einem Kunden zusammen, konnte fast alles aussprechen was mir auf dem Herzen liegt, durfte ein aufrichtiges Lied produzieren, durfte meinen selbstständigen Mitmenschen eine kleine Hilfestellung zur Verfügung stellen und obwohl ich gegen den Strom schwamm, lebe ich immer noch, was für Zeiten! All dies erfüllt mich mit tiefster Dankbarkeit. Angesichts des heutigen Tages, möchte ich diesen Beitrag dem Thema Mut widmen.

Seit der Gründung von Lufrai schwirrte in meinem Kopf eine sehr schwierige, wie auch aufwühlende Frage herum, die Frage nämlich, ob ich den heutigen Beitrag schreiben soll. Meine nächsten, wichtigsten und liebsten Mitmenschen haben mir stets davon abgeraten, denn ich würde einen teuren Preis dafür bezahlen. Trotz der Bedenken, ja regelrechten Sorgen, begleitete mich diese Frage jeden Tag. Aber anfangen möchte ich diesen Beitrag mit einer ganz anderen Frage.

Konsequenz

Ist es mutig, wie Albert Knobel auf dem Bundesplatz in Bern die Verfassung in die Luft zu halten, in einer Zeit in welcher sie niemand sehen will? Ist es mutig, einer Mehrheit zu sagen dass sie einen schrecklichen Fehler begeht? Ist es mutig, als unbedeutender Teil einer (aus Sicht der Mehrheit unbedeutenden) Minderheit zu sagen, dass auch sie kritisch mit sich selbst sein, und eigene Meinungen stets hinterfragen sollte? Ist es mutig in ein Spital zu gehen, mit dem Wissen, dass man möglicherweise nie wieder raus kommt? Ist es mutig, als «Journalist» der offiziellen Medienorganisation des Landes, unauffällig an einer oppositionellen Veranstaltung teilzunehmen, mit dem Ziel diese Veranstaltung nachträglich blosszustellen? Ist es mutig, Schutzgeldzahlungen an ein gewinnorientiertes Gewaltmonopol zu verweigern?

Wann ist es überhaupt mutig, das zu sagen was man denkt und fühlt, und ab wann ist es ganz einfach dumm, gefährlich und unvorsichtig?

Die Schwelle zwischen Mut und Dummheit ist sehr klein. Eine Entscheidung, die der eine Mensch als mutig empfindet, mag ein Anderer als die unverzeihlichste Dummheit der Menschheitsgeschichte betrachten. Mut ist also immer eine Frage des Standpunktes. Es ist einfach, das zu sagen, was von einem gehört werden will, das zu tun, was von einem erwartet wird, darauf kann man sich leicht einigen. Schwieriger ist es jedoch, wenn man die Konsequenzen einer Entscheidung nicht kennt und sie trotzdem trifft, weil man ganz tief im Herzen spürt, dass sie die einzig Richtige ist – das erfordert besonderen Mut. Und schwierig ist es auch, wenn beide Wege einer Weggabelung steinig sind und man sich für einen entscheiden muss, das erfordert ebenfalls Mut. Viele Menschen bleiben bei solchen Weggabelungen ihr halbes Leben stehen.

Entscheidung

Gerade weil die Schwelle zwischen Mut und Dummheit so klein ist, sollten wir also nicht so schnell über andere urteilen und uns stattdessen in sie hinein versetzen, so herausfordernd das auch sein mag. Was uns Menschen verbindet ist, dass das Leben von uns allen fordert, schwierige Entscheidungen zu treffen. Wir können noch so verschieden sein, aber wenigstens das verbindet uns – wir alle sind gefordert, Entscheidungen zu treffen. Wir sind die Summe unserer Entscheidungen.

Ich weiss nicht, was alles nach der Veröffentlichung von diesem Beitrag passieren wird. Aber ich weiss, dass mich einige wohl als Lügnerin, Verräterin und Täuscherin betrachten werden und ich kann mir nur zu gut vorstellen, was sie über mich sagen und von mir denken werden. Ich riskiere damit gute Freundschaften und setze das Vertrauen der Bürgerrechtsbewegung aufs Spiel. Das was ich dir nun schreibe, sollte nichts daran verändern wie du über mich denkst. Ich schreibe es nicht, weil es wichtig ist, ich schreibe es nicht, weil ich darüber reden will, ich schreibe es nicht mal, weil du es wissen solltest oder weil es dich im Geringsten etwas angeht, ich schreibe es nicht, um es für eine politische Agenda zu instrumentalisieren, ich schreibe es nicht, weil ich mich ums Verrecken «outen» will, ich schreibe es nicht, weil es einfach ist, ich schreibe es, weil es schwierig ist, weil es Mut braucht und weil es die Wahrheit ist.

Ich bin weit mehr als die Summe meiner Chromosome und ich bin, eine Transfrau.

3 Kommentare

Ich würde es eher «Bemühung verstanden zu werden» nennen, das kommt wohl aus Lebenserfahrungen aus meiner Kindheit und sicherlich Erziehung. Mündliche Kommunikation ist nicht gerade meine Stärke, das versuche ich schriftlich zu kompensieren 😉.

Meine liebe Tochter
Ich bewundere Deinen Mut, Deine Stärke, Deinen Duchhaltewillen, Deine Ehrlichkeit und vor allem, wie Du Deinen Lebensweg beharrlich Schritt für Schritt gehst. Dabei entfaltest Du Dich immer mehr, gerade so, wie wir es bei der Metamorphose eines Schmetterlings erleben dürfen..
Ich bin sehr stolz auf Dich. Ich habe Dich lieb!
Dein Mami